top of page

Der Schneeleopard. Eine Geschichte von Ingo Gerlach. 

Tiere unter heftigsten Schmerzen fotografieren? Ist es einem mittelalten Fotografen möglich nach einem mehr als unglücklichen Missgeschick, welches heftige Knie- und auch Kopfschmerzen verursachte, auch noch zu fotografieren? Ja, man kann. Doch zunächst die kurze Geschichte, wie es zu dem schmerzhaften Unfall gekommen ist. Letztes Jahr, Ende März in Mittelschweden, der deutsche Wildlifefotograf Ingo Gerlach aus dem Westerwald, war zur Balzzeit der Birkhähne in Mittelschweden. Nach einem Nacht-/Morgenansitz waren die Birkhähne gegen 8.00 Uhr abgeflogen. Rund fünfzig Zentimeter Neuschnee waren selbst für die Birkhähne einfach zu viel des Guten. Den frühzeitigen Abbruch des Fotoansitzes nutzte Gerlach um nach Orsa, ca. 80 Kilometer vom Hamra-Nationalpark entfernt zu fahren. Dort warteten im Orsa-Björnpark Amurtiger, Schneeleopard, Wolf und der Eisbär darauf, abgelichtet zu werden. Fünfzig Zentimeter Neuschnee versprachen Aufnahmen in unberührter, weißer Umgebung.

Gerlach war direkt zur Öffnung des Parks an der Kasse. Die nette Kassiererin gab dem Fotografen ein paar Spikes für die Stiefel mit. Ihre Anmerkung, der Neuschnee sei auf den Wegen noch nicht geräumt und so wäre es sicherer wenn die Besucher die leihweise zur Verfügung gestellten Spikes auch nutzen würden. Der Fotograf bedankte sich und machte sich auf den direkten Weg zu den Amurtigern. Allerdings ohne die Spikes anzuziehen. Das Bild von den Tigern hatte der erfahrene Fotograf längst im Kopf. Denn ganz oben am Berg des Parks lag das große und weitläufige Gehege der Amurtiger oder auch sibirischen Tiger. Den Berg hinauf  kam Gerlach ganz schön ins schwitzen denn er hatte seine schwere Kameraausrüstung und ein schweres Stativ dabei. Oben, am Gehege angekommen waren zunächst keine Tiger zu sehen. Gerlach baute das Stativ mit der Kamera und dem langen Telezoom-Objektiv auf.  Nach rund zwei Stunden Wartezeit konnte der Fotograf dann endlich seine Aufnahmen machen. Die passende Story gibt es hier: www.ingogerlach.com/sibirischer-tiger-amurtiger

Nach geraumer Zeit waren die Aktivitäten der Tiger erlahmt und Gerlach machte sich auf den Rückweg. Den Fotorucksack auf dem Rücken, das schwere Stativ mit ausgezogenen Beinen und der schweren Kamera-Objektiv-Kombi schulterte Gerlach. Der Weg von der Holzplattform war links und rechts eher notdürftig geräumt. In der  Mitte des Weges türmte sich der zusammen geschobene Schnee. Forschen Schrittes machte sich der Fotograf auf den Weg, als er aus dem Augenwinkel am Bergkamm noch einen Tiger laufen sah. Dies wollte der Fotograf noch auf den Chip bannen. Gerlach machte einen schnellen Ausfallschritt über den Schneehaufen. Dabei rutschte er mit dem rechten Bein derartig ab, das er mit dem gesamten Gepäck auf den Rücken knallte. Das rechte Bein verdrehte sich, so das Gerlach einen vor Schmerz lauten Schrei ausstieß. Praktisch zeitgleich knallte die schwere Kamera mit dem Objektiv gegen den Schädel des am Boden liegenden Fotografen, da er beim Sturz diese nicht mehr rechtzeitig wegdrehen konnte. Ca. acht Kilogramm der Objektiv- und Kamerakombi, zuzüglich Stativ, sorgten beim Fotografen ebenfalls für einen heftigen Schmerz den er mit einem weiteren noch lauteren Schrei quittierte. Zwei solch schrille Schreie sollten doch irgendeinen Menschen interessieren, meinte Gerlach. Doch nicht einmal der Tiger am Bergkamm zeigte sich beeindruckt. Gerlach spürte den pochenden Schmerz im Schädel und den reißenden Schmerz im rechten Kniegelenk. Die Beule die aus dem Kopf heraus wuchs nahm bedrohliche Ausmaße an. Gerlach nahm einen Handvoll Neuschnee und drückte diesen gegen die Beule. So wurde zunächst der Schmerz und das weitere Wachstum der Beule „in Schach“ gehalten. Nach rund 15 Minuten Schmerzbehandlung, es war mittlerweile immer noch kein anderer Besucher des Parks zu sehen, machte sich Gerlach humpelnd und mit schmerzverzerrten Gesicht auf den Weg bergab.

Sein Weg führte ihn am Gehege des Schneeleoparden vorbei. Was er dort sah, ließ ihn seine Pein schlagartig vergessen. Der Schneeleopard war in seinem Element, dem frischen und hohen Neuschnee. So machte der leidenschaftliche Fotograf – trotz der heftigen Schmerzen – wunderschöne Aufnahmen einer wunderschönen Großkatze. Aufnahmen, wie sie sonst unter wesentlich schwierigeren Bedingungen, wahrscheinlich nur in der Mongolei, der Heimat des Schneeleoparden möglich gewesen wären. Schlussbemerkung: Die Beule wuchs sich zum  Riesenhämatom aus was sich am nächsten Tag in Form eines blutunterlaufenen blauvioletten Auges zeigte. Die Knieschmerzen entpuppten sich Tage später als brutale Bänderdehnung. Zudem bildete sich auch im Unterschenkel ein riesiges Hämatom. Rund zwölf Monate später ließen die Schmerzen im Knie dann spürbar nach.

bottom of page